"Gesunde Fette"

von Christina Wiedemann

Experteninterview mit Dr. Claudia Thiel


Fett macht dick – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel:
Es ist Fakt und Mythos zugleich. Fakt ist: Fett enthält viele Kalorien, und wer mehr Kalorien aufnimmt, als er verbraucht, nimmt zu. Ein Mythos allerdings, dass Gewichtsprobleme nur durch zu hohen Fettkonsum verursacht werden. Deswegen ist eine fettarme Kost allein nur selten die Lösung. Problematisch sind vor allem die klassischen Dickmacher mit einer Kombination aus Fett und Kohlenhydraten – Süßigkeiten, Knabbereien, Gebäck, Fertiggerichte und Fast Food. Erst die Kohlenhydrate pushen Blutzuckerspiegel und Insulinproduktion, was zu vermehrtem Fettaufbau führt. Ein ständig erhöhter Insulinspiegel verhindert die Fettverbrennung und macht zudem immer wieder hungrig. Abnehmwillige sollten daher schnell verfügbare Kohlenhydrate wie Zucker oder Weißmehl ebenso meiden wie natürlich die verhängnisvollen Fett-Kohlenhydrat-Kombis. Dann können gute Pflanzenöle und fettreiche Fische in der Gewichtsreduktion eingesetzt werden. Diese Fette sind wunderbare Geschmacksträger und versorgen unseren Körper mit lebenswichtigen Fettsäuren, die speziell unseren Leberstoffwechsel positiv beeinflussen. 

Zu viel Fett im Essen führt zu einer Fettleber – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Das ist ein Mythos. Das Fett aus dem Essen wird zwar in der Leber verarbeitet, aber die Ursache für eine Fettleber ist es nicht. Hier spielen vielmehr die Kohlenhydrate eine fatale Rolle. Kohlenhydrate aus Brot, Nudeln, Reis oder Kartoffeln werden als Zucker über die Darmwand in unseren Körper aufgenommen und in die Leber transportiert. Die Leber gibt der Bauchspeicheldrüse das Signal zur Produktion von Insulin. Durch den Insulinanstieg im Blut nehmen die Fettzellen Zucker auf, verwandeln ihn in Fett und speichern ihn. Ist die Speicherkapazität der Fettzellen erschöpft, so reagiert sie einfach nicht mehr auf das Insulin und entwickelt eine Insulinresistenz. Jetzt steigen Zucker und Insulin weiter an, die Leber „opfert“ sich und verfettet. Zuerst ist das für die Leber selbst kein großes Problem, denn sie hält viel aus. Vielmehr erhöhen sich langsam die Fettwerte, der Blutdruck und der Zucker. Schon jetzt entstehen Schäden am Gefäßsystem, die mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall einhergehen. Mit der Zeit ist die Leber überfordert und auch die Leberwerte steigen an. Es entwickelt sich eine „nicht-alkoholische Fettleberentzündung“. „Nicht-alkoholisch“, weil wir dieses Krankheitsbild früher nur bei Alkoholikern kannten. 

Margarine ist gesünder als Butter – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Diese Aussage ist ein Mythos und eine sehr erfolgreiche Marketingstrategie. Margarine wurde ursprünglich unter Napoleon entwickelt, um ein billiges Produkt zur Energieversorgung der französischen Soldaten während des Krieges zu erhalten. Butter war teuer und wurde schnell ranzig. Aus billigeren Pflanzenölen aber konnte mithilfe von chemischen und physikalischen Prozessen eine gehärtete und gut haltbare Margarine hergestellt werden. Wenn Sie sich jedoch die Inhaltsstoffe einer Margarine ansehen, stellen Sie vermutlich fest, dass dort auch manche enthalten sind, die Sie nicht kennen. Nur durch den Einsatz von Farbstoffen, Konservierungsmitteln und Emulgatoren kann die Industrie ein ansprechendes Produkt erzeugen. Sie entscheiden, ob Sie das als gesund ansehen. Bei Butter finden Sie auf der Verpackung keine Zutatenliste, denn Butter enthält nur das Naturprodukt Butter. 

Palmöl sollte man aus dem Weg gehen – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Eher Fakt. Palmöl wird aus den Früchten der Ölpalme gewonnen und ist reich an gesättigten Fettsäuren. Industriell verarbeitet kommt es sowohl in Lebensmitteln als auch in Kosmetika und Putzmitteln vor. Nur ein verschwindend geringer Anteil wird dabei in Bioqualität produziert. Palmöl ist besonders lange haltbar und kann hoch erhitzt werden. Der gesundheitliche Nutzen für uns Menschen ist jedoch begrenzt, weil Palmöl wenig „gute“ ungesättigte Fettsäuren enthält. Außerdem ist der großflächige Anbau von Ölpalmen ökologisch nicht vertretbar, da hierfür Urwald weichen muss und viele Lebewesen so ihren natürlichen Lebensraum verlieren. 

Schweinefett macht krank – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Das ist ein Mythos. Schweinefett besteht zu ca. 60 Prozent aus ungesättigten Fettsäuren, die positive gesundheitliche Auswirkungen haben. Was die Cholesterinmenge angeht, ist Schweinefett sogar günstiger als Butter, es enthält nur etwa ein Drittel so viel Cholesterin. Also Schweinefett allein macht nicht krank. Anhand dieses Beispiels lässt sich sehr gut erklären, wie schwierig es ist, einzelne Nahrungsbestandteile herauszugreifen und zu beurteilen. Hier ist vielmehr die gesamte Ernährung zu betrachten. Wer isst viel Schweinefett? Das sind häufig Menschen, die auch viel Schweinefleisch essen. Oft werden gleichzeitig reichlich Kohlenhydrate und wenig Gemüse oder Salat verzehrt. Diese Kombination ergibt dann ein ganz anderes Bild für unsere Gesundheit.

Die Anzahl der Fettzellen im Körper bestimmt über das Gewicht – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Mehr Mythos. Beim Gewicht kommt es nicht allein auf die Anzahl der Fettzellen an. Vielmehr spielen auch die Größe und Beladung der einzelnen Fettzellen eine erhebliche Rolle. In der Wachstumsphase entwickeln sich aus Stammzellen verschiedene spezialisierte Zellen für Bindegewebe, Knochen, Knorpel, Muskeln und auch Fett. Besteht bereits im Kindes- und Jugendalter Übergewicht, entstehen zahlenmäßig mehr Fettzellen als bei Normalgewicht. Und diese Bürde bleibt ein Leben lang erhalten: Sterben Fettzellen ab, bilden sich ebenso viele wieder neu aus. Vermutlich ein Grund, warum es vielen Menschen so schwerfällt, abzunehmen. Hinzu kommt der zweite wichtige Punkt: Fettzellen weisen eine sogenannte Vakuole auf, einen Hohlraum, der bei Bedarf Fett aufnehmen kann. Fällt nun überschüssige Energie an, füllt sich die Vakuole der Fettzelle mit Fett wie ein Luftballon mit Luft und wird größer. Unsere Fettzellen haben jedoch eine maximale Füllmenge. Wenn die Zelle voll ist und weiter Energie gespeichert werden muss, dann teilt sie sich. So werden auch noch bei Erwachsenen weitere neue Fettzellen gebildet.

Kaffee mit Fett macht fit – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Das ist ein Fakt. Ein sogenannter Bulletproof Coffee – aufgeschlagen mit Butter oder Kokosöl – kombiniert die anregende Wirkung des Koffeins mit schneller Energie in Form von leicht verdaulichen Fettsäuren. Er wird anstelle eines Frühstücks eingesetzt. Da kein Zucker enthalten ist, steigen Blutzucker- und Insulinspiegel nicht unmittelbar an. Daneben fehlt dem Powerdrink auch Eiweiß – so bleibt der Körper im Regenerationsmodus und es zeigen sich gesundheitsfördernde Fasteneffekte mit besserer Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. 

In unserem Körper gibt es weißes und braunes Fett – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Fakt! Das weiße Fettgewebe ist unser Speicherfett und hat die Aufgabe, Energie bereitzuhalten, die der Körper in schlechten Zeiten nutzen kann. Die Fettzellen füllen sich bei Energieüberschuss und entleeren sich in Hungerzeiten. Das freigesetzte Fett wird dann in Leber und Muskulatur verbrannt. Dieser Stoffwechsel ist hormonell gesteuert und daher eher träge. Das braune Fettgewebe ist im Gegensatz zum weißen selbst in der Lage, Fett zu verbrennen. Hierzu hat es eine große Anzahl an „Zellmotoren“ (Mitochondrien), was die braune Farbe verursacht. Braunes Fettgewebe hat die Aufgabe, Wärme zu produzieren, und reguliert dadurch die Körpertemperatur. Für Neugeborene ist dieser Mechanismus überlebenswichtig. Auch im Erwachsenenalter können Sie durch Kältereize die Bildung von braunem Fettgewebe anregen. Also gehen Sie in die Kälte, duschen Sie täglich kalt oder nehmen Sie an einem Eisbade-Spektakel teil.

Ananas ist ein Fettkiller – Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Leider ist dies ein Mythos. Zwar ist in der Ananas das Enzym Bromelain enthalten, das per se in der Lage ist, Einfluss auf die Fettverbrennung zu nehmen. Allerdings wird davon schon im Magen so viel verdaut, dass nichts mehr dort ankommt, wo es eigentlich wirken soll. Davon abgesehen steckt das meiste Bromelain im Strunk der Ananas – und den möchte ja niemand freiwillig essen. Auch Papaya und Kiwi haben einen ähnlichen Ruf als Fettkiller. Auf dieser Annahme basieren die sogenannten Enzym-Diäten, welche lediglich den Verzehr enzymreicher Früchte erlauben. Allein durch die erhebliche Einschränkung der Nahrungsaufnahme und Kalorienzufuhr wird hier natürlich auch die Fettverbrennung aktiviert. Funktioniert also – deshalb. Gleichzeitig fehlen dem Körper aber wichtige Nährstoffe wie Vitamine, Mineralien, Ballaststoffe und Eiweiß. Es kommt zu Muskelabbau und anderen Mangelerscheinungen. 

Fette hemmen den Appetit – Mythos oder Fakt? 
Dr. Thiel: Das ist Fakt. Fettreiche Mahlzeiten bewirken eine verzögerte Magenentleerung. So kommt es, dass wir nach einem fettreichen Essen länger satt sind. Denken Sie dabei an die fette Weihnachtsgans, die durchaus bis zu acht Stunden im Magen verweilen kann. Fette beeinflussen darüber hinaus noch durch einen anderen Mechanismus unser Sättigungsgefühl: In der Leber finden sich Sensoren, die die Verarbeitung von Fettsäuren registrieren. Bei Aktivierung melden diese dem Gehirn, dass ausreichend verfügbare Energie vorhanden ist, womit der Appetit reduziert wird. Zu guter Letzt ist Fett ein wunderbarer Geschmacksträger und bringt durch seine cremige Konsistenz ein angenehmes Gefühl an den Gaumen. Fettreiche Lebensmittel geben uns so eine viel bessere emotionale Befriedigung als fettarme Produkte. Denken Sie nur an den Geschmack von fettreichem Sahnequark im Vergleich zu Magerquark. 

Halbfettprodukte helfen beim Abnehmen –Mythos oder Fakt?
Dr. Thiel: Das ist genauso ein Irrweg wie „Wer abnehmen will, muss einfach weniger essen!“. Tatsache ist, dass die Energiebilanz beim Abnehmen eine entscheidende Rolle spielt. Wollen Sie abnehmen, dann müssen Sie mehr Energie verbrennen als aufnehmen. Leider berücksichtigen wir dabei oft nicht die wichtige Funktion der Mahlzeiten für unser seelisches Wohlbefinden. Essen muss schmecken und satt machen. Und da haben wir mit Halbfettprodukten ein Problem. Fett verzögert nicht nur die Magenentleerung und sättigt damit länger, es ist auch ein wichtiger Geschmacksträger. Fehlt dieser im Lebensmittel, wird er durch einen anderen ersetzt. Häufig ist dies dann Zucker, was über den Insulinstoffwechsel den Fettabbau hemmt und den Fettaufbau fördert. Hier kommt zum Tragen, dass nicht jede Kalorie den gleichen Effekt auf den Stoffwechsel hat – Fett schneidet dabei im Vergleich zu Kohlenhydraten deutlich besser ab. Also nein, Mythos, Halbfettprodukte helfen nicht beim Abnehmen.

Vielen Dank für das Gespräch.


(Das Interview führte Annette Heisch. Es wurde redaktionell bearbeitet.)

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